Sonntag, 19. Oktober 2025

Die Untersuchung der rätselhaften Brandspuren - 23. Mai

Es war einer jener Morgen, an denen selbst die Sonne nur zögerlich über Carima kroch – als wüsste sie, dass sie besser im Nebel geblieben wäre. Ich war gerade im Begriff, meine Notizen zur letzten Audienz zu ordnen, als Canidio mich rief. „Komm mal mit. Da sind noch mehr Spuren.“

Ich ahnte, dass dieser Satz kein gutes Omen war. Die Brandspuren, die wir an der Taverne entdeckt hatten, schienen sich nun quer durch die Stadt zu ziehen – vom Schamanenstand über den Abort (eine Stelle, die man im Dienst der Erkenntnis nur mit zusammengebissenen Zähnen aufsucht) bis hin zum Atelier.

„Das muss ich mir anschauen“, sagte ich, und griff nach meinem Hämmerchen. „Sir Levi meinte, im Schloss gäbe es auch welche“, warf Canidio ein. Und tatsächlich – kaum hatten wir die Schlossküche erreicht, fanden wir sie: ein geschmolzener Steinboden mit Fußabdrücken und feinen Wüstensand.

„Wieso ausgerechnet an der Küche?“ fragte ich. Canidio zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil unser Gildemeister hier öfter aus- und eingeht?“ Ich schwieg. Manchmal ist das Schweigen die höflichste Form des Verdachts. 

Dann entdeckten wir die nächste Spur – direkt vor der Schreibstube der Hoheiten. Ich beugte mich hinab, runzelte die Stirn und flüsterte: „Das ist die Schreibstube der Herzogin. Was hat sie hier vor?“

Canidio nickte. „Sollen wir es Jil sagen? Ich überlegte. „Wenn sie die ganze Wahrheit erfährt und Nichneven das spitzkriegt ... dann haben wir zwei Probleme.“ Wir beschlossen, zu schweigen. Vorerst.

Später am Nachmittag zog es mich – wie jede gute Spur – wieder zum Markt. Frekya stand dort, sichtlich aufgeregt, und deutete wild auf den Boden. „Kala Elyion, seht hier – komische Spuren!“ Ich kniete mich hin, zückte Meißel und Hämmerchen, pling pling! – kleine Splitter lösten sich vom Pflaster. Die Spuren waren frisch, eindeutig. Nicht zufällig, etwas sehr heißes hatte den Stein geschmolzen. 

„Zum Glück fehlt nichts am Stand“, sagte Frekya erleichtert. „Noch nicht“, entgegnete ich trocken. „Aber die Richtung gefällt mir nicht.“ Ich nahm etwas Sand, roch daran – ein Hauch von Trockenheit, wie er nur aus heißen Gegenden stammt. „Habt Ihr in Amazonien Wüsten?“, fragte ich beiläufig.
„Nur Strand und Moor. Und ich war’s nicht!“ rief sie sofort.

Ich lächelte. „Natürlich nicht. Aber dass die Spuren direkt vor Eurem Stand liegen – das hat eine Bedeutung. Vielleicht ist jemand hinter Euch her.“ Frekya wurde bleich. „Hinter den Amazonen?!“
„Oder speziell hinter den Schamanen“, murmelte ich.

Daraufhin begann sie hektisch im Kreis zu laufen, murmelte etwas von Unsichtbarkeit und Untergang.
Canidio seufzte und sagte ruhig: „Befolge einfach die Anweisungen deiner Schamanenlehrerin.“

Ich fügte noch hinzu – mehr zu meiner eigenen Belustigung: „Vielleicht solltet Ihr Euren Körpergeruch überdecken. Solche Wesen riechen gut.“ Frekya schnupperte sofort unter ihre Arme. „Ich rieche nichts!“ „Dann seid Ihr in Sicherheit“, sagte ich mit ernster Miene, während Canidio leise hustete, um ihr Lachen zu verbergen.


 
Dem Schamanenlehrling erklärte ich, dass ich die Proben im Atelier untersuchen würde. „Die Spuren sind nämlich auch dort – und am Abort. Vielleicht musste das Monster kurz austreten. Wer weiß.“ Frekya starrte mich entsetzt an. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter: „Kopf hoch. Wir werden das schon schaffen.“

Dann wandte ich mich an Canidio. „Komm, wir gehen. Ich will wissen, womit wir es hier wirklich zu tun haben.“ Sie nickte. Frekya rief uns hinterher: „B...b...bis später!“  Wir gingen schweigend zum Atelier zurück. 

Am Abend war ich erneut zurück auf dem Marktplatz, als mir ein paar Bewohner entgegenkamen, sichtlich außer Atem mit einer dieser Regenwolken über dem Kopf. Die Dinger duschten jeden, der an meiner Falle vorbeigelaufen war. Eigentlich bestimmt für den Grünpinkler, der mit seinen Karikaturen auf dem Pflaster immer wieder mal die Leute verhöhnte.

„Da bin ich wieder“, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu den anderen, und schon begrüßten mich die üblichen Stimmen: der Schmied, der sich über die Wolken-Zauberei beklagte, und Frekya, die wieder einmal zwischen Furcht, Faszination und Panik schwankte.


Kaum hatte ich mich umgesehen, da kam Hoheit Elosina über den Platz. Frekya versteckte sich hinter dem Schmied. Ich selbst verneigte mich höflich, wenngleich mir beinahe das Herz aus der Robe sprang. 

Doch ehe man sich versah, brach wieder Chaos aus. Die Waldhüterin – noch feucht von ihrer Wolke – rief um Hilfe, weil eben jene Wolke sie offenbar zwangsgebadet hatte. 


Ich musste lachen, auch wenn ich der Urheber war … versehentlich natürlich. Ich murmelte etwas von einem missglückten Experiment und hoffte, niemand würde genauer nachfragen.


Kurz darauf trottete Sir Primus, der Statthalter, triefend nass auf den Platz. Frekya roch inzwischen wie ein Lavendelfeld und jammerte über ein „Untier“, das hinter uns Schamanen her sei. 


Ich versuchte, den Ernst zu wahren, erklärte, ich hätte Proben der Brandspuren genommen, und versprach Ergebnisse, sobald die Lösung sich verfärben würde – wissenschaftlich natürlich, nicht mystisch.


Doch dann … Schlange! Wieder einmal. Ein hysterisches Durcheinander, Blue schimpfte, Anna rief, Primus seufzte, Frekya stotterte und behauptete, die Schlange sei „nicht gefährlich, die will nur spielen“. 

Ich blieb lieber beim Grill und beobachtete die Szene. Es gab Fleischspieße, und ehrlich gesagt – ich vertraute in diesem Fall gebratenem Tier mehr als lebendem.


Zwischen Käsebrot und Braten ergab sich das übliche Marktspektakel: der Schmied hatte Brandblasen, Frekya schmierte ihm eine Schamanensalbe auf die Hände, die prompt brannte – und alle lachten. 


Selbst die Elbenkönigin zeigte ein mildes Lächeln und Sir Primus meinte nur trocken, er ginge „lieber zur Jungfer zur Behandlung“.

Als sich der Trubel legte, kamen wir endlich wieder auf das eigentliche Thema zurück: die Brandspuren. Ich erklärte, dass sie sich bis ins Schloss zogen – vor die Küche, den Hof, ja sogar bis zur Schreibstube der Herzogin Jil. Das Feuer war heiß genug, um Stein zu schmelzen. Kein gewöhnliches Feuer also.


Ich fragte, was so heiß brennen könne. Frekya jammerte, Anna tippte auf Schießpulver, Hoheit Elosina auf einen Drachen. Ich musste schmunzeln – Drachen mit menschlichen Fußabdrücken? Wohl kaum.

Und so teilte ich meine Vermutung: „Ja, ich habe den Verdacht, weil die Spuren auch bei meinem Atelier sind und dort am Abort. Es gibt eine Person, die ziemlich viel Ärger macht. Sie hatte schon mal dafür gesorgt, dass der Abort jedem den Hintern verbrannte. Das alles um die Schuld mir in die Schuhe zu schieben wegen meinem Chiliwischpapier.“ 

Es konnte sich um niemand Geringeres handeln als Nichneven, die einst als Magierin auftrat und dann ihr wahres Gesicht zeigte. Die alte Dämonin, auch bekannt als Lilith. 


Die Waldhüterin und Blue hatten schon mit ihr zu tun gehabt. Frekya hingegen bekam wieder einmal Panik und verkündete zum gefühlt zwanzigsten Mal: „Wir werden alle sterben!“

Ich rollte mit den Augen. „Nein, Frekya. Wir werden alles schaffen.“ Ich versuchte, sie daran zu erinnern, dass der Gildemeister und Canidio ihr schon einmal die Stirn geboten hatten. 


Und dass man mit ein wenig Mut – und etwas weniger Theatralik – auch diese Bedrohung meistern würde.


Dann ging der Abend in Ruhe über, so wie er begonnen hatte: mit zu viel Gerede, zu vielen Ideen und zu wenig Wein. 


Die Waldhüterin verabschiedete sich, Sir Primus zog sich mit einem finsteren Blick zurück, der Schmied in seine Schmiede, und ich … blieb übrig, wie so oft.


Frekya verschwand schnell hinter einem Fass. Man hörte sie „alles wird gut“ murmeln. Das brachte mich auf eine verrückte Idee: „Vielleicht sollten wir wirklich mal auf Monsterjagd gehen, um ihren Mut zu trainieren. Ich kenne da eine Höhle voller Spinnen … Frekya wird begeistert sein.“ Die Kommandatin war von dem Plan sehr angetan.


Ich aß mein letztes Stück Brot, schloss die Flasche (leer!) und ging nach Hause. Der Tag war lang, der Wein zu schnell alle, und die Erkenntnis blieb: Selbst ein ruhiger Abend in Carima ist selten ruhig – aber immer unterhaltsam.


Montag, 13. Oktober 2025

Schlangenbeschwörung, Froschküsse, arme Elefanten und Drachenfeuer - Audienz vom 21. Mai

Ein Bericht über die Audienz vom 21. Mai 2023 - Schon etwas länger her, aber dennoch genauso interessant wie vor über zwei Jahren. 

Wie jeden Sonntag versammelten sich die Bewohner Carimas zur Audienz bei Herzogin Jil. Die Luft vibrierte zwischen höfischer Disziplin und jener unterschwelligen Erwartung, dass gleich wieder etwas geschehen würde. Ich hätte wetten können, dass Jungfer Blue diesmal wieder im Mittelpunkt stehen würde.

Und tatsächlich – kaum wurde sie aufgerufen, trat sie vor und verströmte jenen Duft, der irgendwo zwischen Rosen und Stinkmorcheln lag. Mit großer Geste verkündete sie, sie wolle Sir Primus für einen Orden vorschlagen.

Der Statthalter röchelte. „Er hat uns todesmutig am Markt vor einer Riesenschlange beschützt! Die war mindestens hundert Meter lang!“, übertrieb die Waldhüterin. Sir Levi murmelte aus der letzten Reihe:
„Irgendwann fällt er am Marktplatz hin und wird für’n Orden vorgeschlagen.“ Herzogin Jil kämpfte tapfer um ihre Fassung – und verlor.

Natürlich stellte sich bald heraus, dass Blues Riesenschlange nur das zahme Haustier der Amazonen war. Lady Susi wurde herbeigerufen, um die Sache aufzuklären. „Die ist vollkommen ungefährlich“, sagte sie gelassen. Susi erklärte, dass sie die Schlange jeden Morgen melken, um ihr Gift für Gegengifte zu entnehmen. „Doch doch, wir können es gerne einmal ausprobieren.“ Der Statthalter als Schlangenmelker? Jedenfalls einen Pokal hat er schon. Fehlt nur noch ein Orden ...

Zwei Jahre zuvor ...

Sir Primus zog daraufhin alle Farben zwischen Scharlach und Kreideweiß durch. „Soll sich doch der Prinz beißen lassen!“ fauchte er. Die Herzogin blieb kühl: „Nun, Primus, wenn Ihr einen Orden bekommen sollt, wäre etwas Heldenmut schon angezeigt.“ Ich schwöre, in diesem Moment sah er aus, als überlege er, ob man einen Orden auch posthum ablehnen kann. Sein berühmter „Heldenmut“ bestand meist nur aus Wegrennen und Mitzerren Beteiligter, die es dann als Beschützerinstinkt auslegten.


Als wäre das nicht genug, hüpfte plötzlich ein Frosch durch den Saal und sprang in Richtung Blue.
Susi fing einen der Ausreißer ein. Die restliche Gesellschaft schwankte zwischen Ekel und Neugier.  

Wenn ich mich noch recht erinnere, war beim großen Markt das Gerücht entstanden, dass unter den Fröschen ein verzauberter Prinz zu finden sei. Ausgelöst durch Susi, die Schamanin: „Sagt eine Krankheit, und ich suche euch das passende Mittel dagegen raus oder küsst einen Frosch, so könnt ihr einen Prinzen bekommen.“ 

Herzogin Jil seufzte und meinte trocken, man solle vielleicht eine Steuer auf das Küssen von Fröschen erheben. Ich konnte sehen, wie einige Anwesende kurz überlegten, ob sie dadurch rückwirkend steuerpflichtig würden.


Blues zweites Anliegen betraf einen Elefanten, den sie für Holzarbeiten „ausleihen“ wollte.
Das Schiff, das groß genug wäre, gehörte ausgerechnet Lola von der Roten Laterne. „Der Bumskutter? Niemals!“, rief Sir Primus entsetzt. Herzogin Jil hob nur eine Braue. Jungfer Blue rechnete mit einer zweiwöchigen, langsamen Reise. Sir Primus konterte jedoch, dass das Tier auf der Überfahrt verenden würde, da das Schiff zwar den Elefanten tragen könne, aber nicht das Futter für die zwei Wochen Überfahrt fassen würde. Diesen Einwand musste die Herzogin gelten lassen. Ihre Hoheit fand, der Plan müsse noch ein wenig überarbeitet werden.

Glücklicherweise hatten die Jungfer und die Herzogin denselben Geistesblitz: Man solle Luba's Freundin, Kapitänin Lisbeth, fragen, deren schnelles Pira... äh... Handelsschiff eventuell aushelfen könnte, um die Reise zu verkürzen. Die Jungfer gelobte, sich darum zu kümmern.

Dann wurde ich aufgerufen. Man hätte am liebsten vorsichtshalber den Teppich beiseite gerollt – man kannte mich. Ich berichtete über die Brandspuren bei der Taverne: geschmolzenes Pflaster, Sand, der nicht von unseren Stränden stammen konnte. „Wüstensand“, erklärte ich und ließ meine Staffelei mit einem satten PLOPP erscheinen. Herzogin Jil zuckte, wie immer: „Magus, Ihr erschreckt mich jedes Mal!“ Ich entschuldigte mich und präsentierte meine Untersuchung.


Der Verdacht lag nahe: Die extremen Brandspuren, die sogar das Pflaster angeschmolzen hatten, deuteten auf echtes Drachenfeuer hin – oder jemand, der es nachahmte. In diesem Moment schwebte Panterain Silberhaar von oben herab, feurig und empört: „Nur Drachenfeuer oder das Bergfeuer (Lava) sind in der Lage, das zu vollbringen!“


Ein kurzer Disput entbrannte, bis die Herzogin mit ihrer typischen Mischung aus Strenge und Güte wieder Ordnung schuf. Dann trat Atalia vor mit der Idee: Vielleicht kein Feuer, sondern Hitze durch Gewicht, Magie – oder beides. Ich musste zugeben: ein kluger Gedanke.

Am Ende beauftragte mich die Herzogin, den Fall weiter zu untersuchen – gemeinsam mit Panterain und Atalia. Ich verneigte mich tief, packte meine Staffelei wieder ein (Puff!) und zog mich zurück.

Hinter mir hörte ich noch jemanden sagen: „Was für ein Untier könnte das sein – schwer und heiß? Primus seine Lola?“ Ich schwöre, das war nicht meine Bemerkung. Aber ich habe sie notiert. Für die Chronik, versteht sich. Und ich hatte da schon jemanden in Verdacht, aber diejenige war weder vom ...ährrrmm „Bumskutter", noch ein übermütiger Drache.

Freitag, 10. Oktober 2025

Reise im Geiste - Teil 4

Das Katzenwesen Shi als Mensch. In ihr lebt der junge Himmelsmeister Yoh

Nun wurde die Stimmung ernster. Alle lauschten dem Wesen Yoh. Nur das Feuer flackerte ruhig zwischen den Felsen. „Und ja,“ begann das Herz mit ruhiger Stimme, „es geht um die weiße Energie.“ Das Herz Yoh lächelte kaum merklich. „Ja, die Amazonen hatten schon oft Mühe, Yoh und Shi auseinanderzuhalten – oder zu wissen, wer gerade wer ist. Aber eigentlich ist das gar nicht so wichtig. Denn am Ende werden wir eins sein.“

ich griff sich währenddessen eine Ratte vom Spieß und knusperte laut daran, als Levi sich kurz in einem flimmernden Schimmer auflöste und gleich darauf wieder auftauchte. „Alles in Ordnung?“ fragte Yoh besorgt. „Ja… also… schon,“ stotterte Levi, der sich rasch wieder hinsetzte.

„Also ja,“ fuhr das Herz fort, „ich bin Yoh. Und ich lebe von dieser Energie. Sie erlaubt mir, Dinge zu wirken – oder besser gesagt, Möglichkeiten möglich zu machen. So habe ich meiner Shi auch diese Form gegeben, in der sie bei den Menschen sicher sein kann – als Mensch.“

„Ihr wisst, sie ist eigentlich eine Katze?“ fragte Yoh leise. „Ja, das wissen wir,“ antwortete Canidio. „Sie hat es uns erzählt.“ Ich grinste nur. „Haben wir schon öfter gesehen.“ Das Herz nickte. „Nun gut. Die Energie hat Shi. Ich aber habe das Wissen – und den Schlüssel zum weißen Raum, dem Ort der Möglichkeiten. Dort, wo nur der eigene Geist die Grenze ist.“

„Der Geist ist die Grenze,“ murmelte Susi andächtig. „Ja,“ bestätigte das Herz, „daher stammen auch jene Worte. Aber keine Angst – allein sie zu sprechen, bewirkt nichts. So wurde Shi zu dem, was ich sah – zu einem Menschen.“

Ich nickte und murmelte etwas von „der Sache mit dem Zwilling“, als das Herz weitersprach:
„Das alles braucht Kraft. Energie. Ich habe einer guten Freundin geschworen, nur noch weiße Energie zu nehmen – nachdem es einmal fast schiefgegangen wäre… mit der anderen.“ Susi nickte zustimmend. „Eine gute Entscheidung.“, „Jedes Wesen hat in sich Energie,“ erklärte das Herz weiter. „Sie erneuert sich unaufhörlich. Shi hat Energie – genug, um kurz durch den weißen Raum zu gehen und für eine Weile das zu sein, was sie sieht: ein Mensch.“

Ich beobachtete Levi, der reglos wirkte, fast wie in Trance, und ihm schließlich eine Ratte unter die Nase hielt. Doch Levi reagierte nicht.

Für einen Moment lag Stille über dem Gipfel. Nur das Feuer knisterte, und der Wind strich leise über die Felsen. „Doch all das,“ sagte das Herz schließlich, „braucht Energie. Und wenn Shi ein Mensch ist, dann verbraucht sie all ihre Kraft, um es zu bleiben. Versteht ihr, was ich meine?“ Levi nickte langsam, Canidio bestätigte leise: „Ja, sehr gut sogar.“

Shi könnte so viel mehr…“ begann das Herz nachdenklich. „Durch mich – oder ich durch sie, als Mensch. Aber…“ Es stockte kurz. „Geht nicht. Kein Saft.“ Leviathan nickte verständnisvoll. „Das kann ich gut verstehen.“  Das Herz seufzte leise. „Nun ja, es gäbe schon verlockende Energie. Überall. Man müsste nur zugreifen…“ Es ließ den Blick schweifen, als könne es die unsichtbare Kraft in der Luft sehen. „Aber – ihr kennt mein Versprechen. Es hat… sagen wir… unerwünschte Nebenwirkungen, andere Energie zu nutzen. Wirklich unerfreuliche. Glaubt mir.“

Leviathan starrte ins Feuer, und man sah, wie es in seinem Kopf arbeitete – Gedanken an all das, was man nutzbar machen könnte. Canidio legte den Kopf leicht schief, sah zu Yoh und flüsterte: „Es klingt, als wäre der Preis hoch.“  Das Herz nickte ernst. „Meine Hoffnung ist… ein wenig weiße Energie zu finden. Genug, dass Shi Mensch sein kann – und doch etwas übrig bleibt. Nur ein bisschen mehr Kraft, als sie braucht, um zu bleiben, was sie ist.“


„Und wenn jemand unter der falschen Wahl der Energie leiden muss,“ sagte Susi ernst, „dann sollte man sie besser gar nicht verwenden.“ Das Herz nickte bedächtig. „Nun ja… und genau deshalb suchen meine Freunde hier nach der weißen Energie. Und ich hörte, ihr sollt da sehr schlau sein.“

Im Hintergrund hustete ich leise und winkte ab. „Naja… schlau ist ein großes Wort. Sagen wir: ein bisschen belesen.“ Levi wiegte den Kopf hin und her, als würde er abwägen, ob er das bestätigen oder bestreiten sollte. Ich schmunzelte und sah von Levi zu Canidio. „Sagen wir’s so: Jeder von uns dreien ist auf seine Weise etwas ganz Besonderes – und hat seine ganz eigenen Stärken.“ Yoh nickte leicht und sah uns mit einem geheimnisvollen Lächeln an. „Vielleicht,“ sagte sie leise, „ist das ja der Schlüssel.“

Ich hob die Hand leicht, um das Wort zu ergreifen. „Ich für meinen Teil hätte da ein paar Fragen.“
Yoh wandte sich zu mir um. „Ja?“ Susi hob beschwichtigend die Hand. „Wir müssen nicht sofort eine Lösung finden. Wir können später noch darüber nachdenken.“ Yoh nickte zustimmend. „Unser Treffen hier und heute hat vor allem den Sinn, dass ich direkt mit euch sprechen kann. Es ist nicht leicht, durch Shi zu reden.“

Canidio neigte den Kopf. „Wenn ich helfen kann, bin ich gern dazu bereit.“ „Ich ebenso,“ fügte Levi ruhig hinzu. „Gut,“ sagte ich und sah zu Yoh: „Der Begriff Weiße Energie ist mir im Laufe vieler Zeiten begegnet – doch jeder verstand etwas anderes darunter. Ich möchte das Wesen dieser Energie begreifen.“

Yoh nickte langsam. „In der Tat… vieles trägt viele Namen. Und manches, was anders ist, nennt sich gleich. Die weiße Energie, die ich meine, erkennt man daran, dass sie stets zum Empfänger fließt. Sie lässt sich nicht nehmen – sobald man sie zu greifen versucht, wird sie dunkel. Dunkle Energie ist im Kern nichts anderes als weiße Energie, die geraubt wurde.“

Einen Moment war es still. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. „Das tat ich einst,“ fuhr das Wesen leise fort. „Ich nahm Energie, die mir nicht gehörte. Die Gier danach hätte mich fast verschlungen.“, „Zuviel Gier ist nie gut,“ murmelte Levi und sah auf das Gras zu seinen Füßen. „Aber ich wäre nicht mehr ich gewesen,“ sagte Yoh. „Ich hätte Shi, meine Heimat, mein Sein verloren.“


Dann hob Yoh eine Hand und griff in die Luft. Aus dem Nichts entstand ein Stück Pergament. Zwei unvollständige Zeichnungen zierten es. „Was seht ihr?“ fragte das Wesen. Canidio betrachtete das Bild. „Zwei Wesen, die zu einem werden.“ Yoh lächelte. „Fast. Das, was ihr zwischen den Bildern seht – das ist der weiße Raum. Der Ort, wo noch nichts ist, wo man alles erschaffen kann.“

„Ah,“ nickte Susi. „Der Platz, an dem alles möglich ist.“ „Darum ist der weiße Raum gefährlich,“ sagte Yoh ernst. „Er ist leer. Reines Potenzial – und doch unbegreiflich. Alles kann dort entstehen… oder vergehen.“, „Also das große Ganze, das noch nicht aufgedeckt ist,“ folgerte Levi.
„Oder das, was schon existiert, aber noch nicht wahr geworden ist,“ ergänzte Yoh. „Wie im Traum.“

Ein leises Schmunzeln huschte über mein Gesicht. „Dann ist es wohl der Ort der Möglichkeiten. Gefährlich, aber faszinierend.“  „Genau,“ bestätigte Yoh. „Der weiße Raum ist nur durch Energie zu erreichen. Kraft ist der Schlüssel – und darum suchen wir sie.“ Levi sah nachdenklich auf. „Dann braucht es jemand, der den Eimer Wasser nachfüllt, weil du es selbst nicht kannst.“ Yoh nickte. „Könnte man so sagen.“

„Dann,“ meinte Susi ruhig, „müsste jemand dem Herzen Energie schenken. Das wäre weiße Energie.“
Ich schmunzelte. „Vielleicht. Oder sie lässt sich verstärken – so wie der Geist durch Übung wächst. Wer rechnet, wird zum Rechengenie. Wer übt, stärkt den Geist.“ „Aber das kostet etwas,“ warf Levi ein.
„Sagen wir: Rattenhäppchen für den Geist,“ murmelte ich grinsend, während Canidio sich das Lachen verkniff.

Da sprach Anna leise: „Dieser weiße Raum braucht Blumen. Von Blumen wird man fröhlich – und wer fröhlich ist, hat Kraft.“ „Blumen für Freude,“ bestätigte Susi sanft. „Freude ist positive Energie.“
Yoh sah sie an, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. „Freude als Quelle… das wäre einen Versuch wert. Ich kenne das Gegenteil – Wünsche, Sehnsüchte, Ängste… sie alle setzen Energie frei.“
„Wie Neid, Gier und Hass,“ murmelte Levi. Ich nickte: „Dann sind die Gefühle selbst die Quelle.“ Yoh lächelte schwach. „Vielleicht. Vielleicht sind sie die Quelle… oder der Schlüssel. Auf jeden Fall ein Teil der Lösung.“

„Freunde,“ begann Yoh leise, „ich denke, wir sind heute sehr weit gekommen. Wir haben uns kennengelernt, Gedanken geteilt, und vielleicht… den ersten Schritt getan.“ Canidio lächelte zu Elyion, dann wieder zu Yoh. „Ich hoffe,“ fuhr diese fort, „euch hat die Form gefallen, in der ich euch heute erschienen bin. Ich bin mir da nie ganz sicher.“, „Wir kommen wieder zu dir,“ versprach Susi.

Elyion rieb sich nachdenklich das Kinn. „Nach meinem Gedächtnisverlust, als das Elfenland unterging, war ich gezwungen, wieder von vorn zu lernen. Damals begegnete ich einem Succubus – er nährte sich von meinen… nun ja, Gefühlen. Speichere sie in einem Kristall, der rosa leuchtete, je mehr er in sich aufnahm. Vielleicht ist das ein Ansatz.“, „Gefühle im Einmachglas,“ meinte Susi trocken. „Interessant.“
Leviathan grinste. „Nur dass das Glas die Gefühle nicht frischhält.“

„Die Form ist nicht wichtig,“ sagte Yoh, das Herz, dann ernst. „Wichtiger ist, was sie in uns bewegt.“
Yoh nickte. „Ihr habt recht. Und doch – Gefühle können ein Werkzeug sein. Wenn man sie richtig nutzt.“ Canidio sah nachdenklich ins Feuer. „Ich hatte schon mit Dämonen zu tun… ich war ihnen wohl zu brav,“ sagte sie mit einem schiefen Lächeln. Leviathan riss die Augen auf. „Nicht euer Ernst!“
„Es war kein einfacher Weg,“ murmelte Elyion. „Aber vielleicht liegt darin eine Erkenntnis.“
„Das Werkzeug war gut,“ entgegnete Yoh ruhig. „Nur der Gebrauch war falsch.“

Ein leises Grollen erklang in der Ferne. Über dem Berg zog ein Gewitter auf. Yoh hob den Blick und lächelte. „Ihr habt den Ort verstanden, wie ich sehe.“ Elyion zog mit der Hand eine Geste durch die Luft, als male er einen Regenbogen. „Ich sehe es schon vor mir: Weiße Energie – spende jetzt! Macht sich gut als Banner.“ 

„Ich denke,“ sagte Yoh schließlich, „unsere Zeit hier neigt sich dem Ende. Nicht jeder Geist ist stark genug, um hier lange zu verweilen – auch Shi spüre ich schwächer werden.“ „Es war eine gute Reise,“ sagte Susi sanft. „Mit guten Gästen.“ „Ich danke euch,“ erwiderte Yoh. „Für euer Kommen, für eure Hilfe. Und denkt daran – ich bin in ihr, sie ist in mir. Ich bin.“

Ein Windstoß ließ die Flammen aufflackern. Dann deutete Yoh auf einen Ballon, der ruhig am Rand der Klippe wartete. „Der Weg zurück ist fast derselbe wie der hierher. Nach oben – und ihr kommt wieder unten an.“ Ein letzter Blick, ein stilles Nicken – dann stiegen sie in den Ballon. Langsam hob er sich, trug sie höher und höher, hinein in die Wolken. Das Licht wurde heller, dann dunkler – und schließlich versank alles im Nebel.


Die Untersuchung der rätselhaften Brandspuren - 23. Mai

Es war einer jener Morgen, an denen selbst die Sonne nur zögerlich über Carima kroch – als wüsste sie, dass sie besser im Nebel geblieben wä...