Es war einer jener Morgen, an denen selbst die Sonne nur zögerlich über Carima kroch – als wüsste sie, dass sie besser im Nebel geblieben wäre. Ich war gerade im Begriff, meine Notizen zur letzten Audienz zu ordnen, als Canidio mich rief. „Komm mal mit. Da sind noch mehr Spuren.“
Ich ahnte, dass dieser Satz kein gutes Omen war. Die Brandspuren, die wir an der Taverne entdeckt hatten, schienen sich nun quer durch die Stadt zu ziehen – vom Schamanenstand über den Abort (eine Stelle, die man im Dienst der Erkenntnis nur mit zusammengebissenen Zähnen aufsucht) bis hin zum Atelier.
„Das muss ich mir anschauen“, sagte ich, und griff nach meinem Hämmerchen. „Sir Levi meinte, im Schloss gäbe es auch welche“, warf Canidio ein. Und tatsächlich – kaum hatten wir die Schlossküche erreicht, fanden wir sie: ein geschmolzener Steinboden mit Fußabdrücken und feinen Wüstensand.
„Wieso ausgerechnet an der Küche?“ fragte ich. Canidio zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, weil unser Gildemeister hier öfter aus- und eingeht?“ Ich schwieg. Manchmal ist das Schweigen die höflichste Form des Verdachts.
Dann entdeckten wir die nächste Spur – direkt vor der Schreibstube der Hoheiten. Ich beugte mich hinab, runzelte die Stirn und flüsterte: „Das ist die Schreibstube der Herzogin. Was hat sie hier vor?“
Canidio nickte. „Sollen wir es Jil sagen? Ich überlegte. „Wenn sie die ganze Wahrheit erfährt und Nichneven das spitzkriegt ... dann haben wir zwei Probleme.“ Wir beschlossen, zu schweigen. Vorerst.
Später am Nachmittag zog es mich – wie jede gute Spur – wieder zum Markt. Frekya stand dort, sichtlich aufgeregt, und deutete wild auf den Boden. „Kala Elyion, seht hier – komische Spuren!“ Ich kniete mich hin, zückte Meißel und Hämmerchen, pling pling! – kleine Splitter lösten sich vom Pflaster. Die Spuren waren frisch, eindeutig. Nicht zufällig, etwas sehr heißes hatte den Stein geschmolzen.
„Zum Glück fehlt nichts am Stand“, sagte Frekya erleichtert. „Noch nicht“, entgegnete ich trocken. „Aber die Richtung gefällt mir nicht.“ Ich nahm etwas Sand, roch daran – ein Hauch von Trockenheit, wie er nur aus heißen Gegenden stammt. „Habt Ihr in Amazonien Wüsten?“, fragte ich beiläufig.
„Nur Strand und Moor. Und ich war’s nicht!“ rief sie sofort.
Ich lächelte. „Natürlich nicht. Aber dass die Spuren direkt vor Eurem Stand liegen – das hat eine Bedeutung. Vielleicht ist jemand hinter Euch her.“ Frekya wurde bleich. „Hinter den Amazonen?!“
„Oder speziell hinter den Schamanen“, murmelte ich.
Daraufhin begann sie hektisch im Kreis zu laufen, murmelte etwas von Unsichtbarkeit und Untergang.
Canidio seufzte und sagte ruhig: „Befolge einfach die Anweisungen deiner Schamanenlehrerin.“
Ich fügte noch hinzu – mehr zu meiner eigenen Belustigung: „Vielleicht solltet Ihr Euren Körpergeruch überdecken. Solche Wesen riechen gut.“ Frekya schnupperte sofort unter ihre Arme. „Ich rieche nichts!“ „Dann seid Ihr in Sicherheit“, sagte ich mit ernster Miene, während Canidio leise hustete, um ihr Lachen zu verbergen.
Dem Schamanenlehrling erklärte ich, dass ich die Proben im Atelier untersuchen würde. „Die Spuren sind nämlich auch dort – und am Abort. Vielleicht musste das Monster kurz austreten. Wer weiß.“ Frekya starrte mich entsetzt an. Ich legte ihr die Hand auf die Schulter: „Kopf hoch. Wir werden das schon schaffen.“
Dann wandte ich mich an Canidio. „Komm, wir gehen. Ich will wissen, womit wir es hier wirklich zu tun haben.“ Sie nickte. Frekya rief uns hinterher: „B...b...bis später!“ Wir gingen schweigend zum Atelier zurück.
Am Abend war ich erneut zurück auf dem Marktplatz, als mir ein paar Bewohner entgegenkamen, sichtlich außer Atem mit einer dieser Regenwolken über dem Kopf. Die Dinger duschten jeden, der an meiner Falle vorbeigelaufen war. Eigentlich bestimmt für den Grünpinkler, der mit seinen Karikaturen auf dem Pflaster immer wieder mal die Leute verhöhnte.
„Da bin ich wieder“, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu den anderen, und schon begrüßten mich die üblichen Stimmen: der Schmied, der sich über die Wolken-Zauberei beklagte, und Frekya, die wieder einmal zwischen Furcht, Faszination und Panik schwankte.
Kaum hatte ich mich umgesehen, da kam Hoheit Elosina über den Platz. Frekya versteckte sich hinter dem Schmied. Ich selbst verneigte mich höflich, wenngleich mir beinahe das Herz aus der Robe sprang.
Doch ehe man sich versah, brach wieder Chaos aus. Die Waldhüterin – noch feucht von ihrer Wolke – rief um Hilfe, weil eben jene Wolke sie offenbar zwangsgebadet hatte.
Ich musste lachen, auch wenn ich der Urheber war … versehentlich natürlich. Ich murmelte etwas von einem missglückten Experiment und hoffte, niemand würde genauer nachfragen.
Kurz darauf trottete Sir Primus, der Statthalter, triefend nass auf den Platz. Frekya roch inzwischen wie ein Lavendelfeld und jammerte über ein „Untier“, das hinter uns Schamanen her sei.
Ich versuchte, den Ernst zu wahren, erklärte, ich hätte Proben der Brandspuren genommen, und versprach Ergebnisse, sobald die Lösung sich verfärben würde – wissenschaftlich natürlich, nicht mystisch.
Doch dann … Schlange! Wieder einmal. Ein hysterisches Durcheinander, Blue schimpfte, Anna rief, Primus seufzte, Frekya stotterte und behauptete, die Schlange sei „nicht gefährlich, die will nur spielen“.
Ich blieb lieber beim Grill und beobachtete die Szene. Es gab Fleischspieße, und ehrlich gesagt – ich vertraute in diesem Fall gebratenem Tier mehr als lebendem.
Zwischen Käsebrot und Braten ergab sich das übliche Marktspektakel: der Schmied hatte Brandblasen, Frekya schmierte ihm eine Schamanensalbe auf die Hände, die prompt brannte – und alle lachten.
Selbst die Elbenkönigin zeigte ein mildes Lächeln und Sir Primus meinte nur trocken, er ginge „lieber zur Jungfer zur Behandlung“.
Als sich der Trubel legte, kamen wir endlich wieder auf das eigentliche Thema zurück: die Brandspuren. Ich erklärte, dass sie sich bis ins Schloss zogen – vor die Küche, den Hof, ja sogar bis zur Schreibstube der Herzogin Jil. Das Feuer war heiß genug, um Stein zu schmelzen. Kein gewöhnliches Feuer also.
Ich fragte, was so heiß brennen könne. Frekya jammerte, Anna tippte auf Schießpulver, Hoheit Elosina auf einen Drachen. Ich musste schmunzeln – Drachen mit menschlichen Fußabdrücken? Wohl kaum.
Und so teilte ich meine Vermutung: „Ja, ich habe den Verdacht, weil die Spuren auch bei meinem Atelier sind und dort am Abort. Es gibt eine Person, die ziemlich viel Ärger macht. Sie hatte schon mal dafür gesorgt, dass der Abort jedem den Hintern verbrannte. Das alles um die Schuld mir in die Schuhe zu schieben wegen meinem Chiliwischpapier.“
Es konnte sich um niemand Geringeres handeln als Nichneven, die einst als Magierin auftrat und dann ihr wahres Gesicht zeigte. Die alte Dämonin, auch bekannt als Lilith.
Die Waldhüterin und Blue hatten schon mit ihr zu tun gehabt. Frekya hingegen bekam wieder einmal Panik und verkündete zum gefühlt zwanzigsten Mal: „Wir werden alle sterben!“
Ich rollte mit den Augen. „Nein, Frekya. Wir werden alles schaffen.“ Ich versuchte, sie daran zu erinnern, dass der Gildemeister und Canidio ihr schon einmal die Stirn geboten hatten.
Und dass man mit ein wenig Mut – und etwas weniger Theatralik – auch diese Bedrohung meistern würde.
Dann ging der Abend in Ruhe über, so wie er begonnen hatte: mit zu viel Gerede, zu vielen Ideen und zu wenig Wein.
Die Waldhüterin verabschiedete sich, Sir Primus zog sich mit einem finsteren Blick zurück, der Schmied in seine Schmiede, und ich … blieb übrig, wie so oft.
Frekya verschwand schnell hinter einem Fass. Man hörte sie „alles wird gut“ murmeln. Das brachte mich auf eine verrückte Idee: „Vielleicht sollten wir wirklich mal auf Monsterjagd gehen, um ihren Mut zu trainieren. Ich kenne da eine Höhle voller Spinnen … Frekya wird begeistert sein.“ Die Kommandatin war von dem Plan sehr angetan.
Ich aß mein letztes Stück Brot, schloss die Flasche (leer!) und ging nach Hause. Der Tag war lang, der Wein zu schnell alle, und die Erkenntnis blieb: Selbst ein ruhiger Abend in Carima ist selten ruhig – aber immer unterhaltsam.
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