Dienstag, 7. Oktober 2025

Reise im Geiste - Teil 3

Wir waren endlich angekommen. Langsam wurden die Umrisse der Umgebung deutlicher – ein weiter, grasbewachsener Gipfel, hoch über den Wolken. Von hier aus konnte man weit hinabsehen: die Lichtung, auf der sie zuvor gestanden hatten, war nur noch ein kleiner, heller Punkt tief unter ihnen. 

Zwischen den Felsen brannte ein kleines Feuer, nahe einer Hängematte, die zwischen den Felsen gespannt war. „Dieser Anblick ist jedes Mal aufs Neue merkwürdig“, murmelte Susi und sah sich um. Neben ihr stand Anna, die sich noch verwirrt umschaute. „Was ist das für ein Ort?“ fragte sie leise.

„Hier oben, auf dem Berg, wohnt das Herz“, antwortete Yoh Shi ruhig, während sie den Blick über die Landschaft schweifen ließ. „Beim letzten Mal lag es dort – in der Hängematte. Doch heute scheint es anders.“  Peter, der immer für einen Kommentar zu haben war, grinste. „Das letzte Mal war’s ein Fuchs.“ Und Yoh Shi fügte hinzu: „Davor eine Katze. Und davor… na ja, ein Fuchs ohne Ohren.“

Susi schmunzelte. „Richtig – weil Peter an eine Hängematte gedacht hat. Das Herz hat’s einfach übernommen.“ Yoh Shi trat näher, blinzelte und zeigte auf einen hölzernen Schemel. „Da – seht ihr das? Sieht aus wie ein Stuhl… von hinten.“

„Oh, der Hasenstuhl“, murmelte sie dann fast ehrfürchtig. Auf einer runden Holzscheibe stand der seltsame Stuhl. „Der Hasenstuhl“, wiederholte Susi leise. „Ein alter Bekannter aus dem alten Amazonien.“ Alle Blicke richteten sich darauf, als sie gewahr wurden, wer darin saß.

Zwischen den Felsen, unweit des kleinen Feuers, stand der seltsame Stuhl — rund, aus geweißtem Holz gefertigt, auf einer massiven Scheibe ruhend. Doch diesmal war er nicht leer. Auf ihm saß ein Wesen, das zugleich vertraut und fremd wirkte: ein Katzenwesen mit weißen Haaren wie Levi, einem Hut, der Elyions glich, und Stiefeln, die Anna selbst hätten gehören können.

Frekya rollte sich neugierig an seinen Füßen zusammen und fühlte sich sichtlich pudel- äh fuchswohl. Dann erhob sich das Wesen und strich sich das Fell glatt. Es war, als träte der gestiefelte Kater persönlich aus einem alten Märchen hervor – nur dass er ein wenig anders aussah, als man ihn aus den Märchenbüchern in Erinnerung hatte.

„Kala… äh, Herz?“ fragte Susi zögernd. Das Wesen lachte tief. „Ho, ho, hooo! Schamanin, gut erkannt!“ Susi neigte leicht den Kopf. „Man erkennt dich nicht immer sofort, es war nur eine Vermutung.“ „Ich hörte, heute kommt hoher Besuch – da wollte ich mich angemessen zeigen!“ entgegnete das Herz fröhlich und kicherte dabei auf jene eigentümliche Weise, wie man es sonst nur von Oschi kannte.

„Verzeiht, wenn wir heute so viele sind“, murmelte Susi entschuldigend. Levi hob den Blick und suchte nach dem „hohen Besuch“, als ich leise zu Canidio flüsterte: „Der erinnert mich an damals... das Waschproblem.“ Canidio unterdrückte ein Kichern. „Oh ja, das vergesse ich nicht.“ Lang ist es her, da ging eines meiner Experimente mit "Magischer Reinigung" schief und ich rannte tagelang als Katze verwandelt herum ...

Magisches Experiment ging schief

Susi trat einen Schritt vor. „Wir sind gekommen, um die weiße Energie zu finden. Freunde begleiten uns, die sich mit Energien gut auskennen.“ Das Herz musterte die Runde aufmerksam – seine Augen ruhten eine Weile auf Canidio, dann auf mich, schließlich auf Leviathan. „Interessante Besucher“, murmelte es nachdenklich. „Die anderen kenne ich ja schon.“.

„Ach, die Kriegerin Anna – dich kenne ich, auch wenn du mich wohl noch nicht kennst“, sagte das Herz und nickte ihr freundlich zu.  Susi neigte respektvoll den Kopf. „Bitte erzähle uns, was diese Energie bewirken soll – und wie wir dir helfen können. Doch vielleicht… stell dich zuerst unseren Freunden vor.“

Das Herz nickte bedächtig, während Peter herzhaft gähnte. „Ihr Amazonen – euch kenne ich ja bereits,“ begann es mit einem milden Lächeln. „Und auch den frechen Fuchs hier.“ „Der freche Fuchs ist bekannt wie ein bunter Hund,“ lachte Susi.

„Ihr anderen,“ fuhr das Herz fort, „euch kenne ich nur durch die Augen von Shi. Sie lebt durch mich – und ich durch sie.“ Anna blickte unsicher zwischen den beiden Gestalten hin und her. „Du bist doch Yoh... oder Shi?“ „Beides,“ antwortete das Herz ruhig.

Ich, Elyion, der sich im Hintergrund niedergelassen hatte, hob eine Braue. „Der Jungspund, Himmelsmeister in Ausbildung – Yoh im Katzenwesen Shi?“ Das Herz legte den Kopf schief. „Da hat aber jemand gut aufgepasst.“ „Tja,“ grinste ich, „ich bin beim letzten Mal nicht eingeschlafen.“

Canidio lächelte still und sah zu dem Wesen, das zugleich Vertrautheit und etwas Unbegreifliches ausstrahlte.„Nun,“ begann das Herz Yoh, „ihr seid hier bei mir – genauer gesagt in einem kleinen Teil der Erinnerung von Shi. Dieser Ort ist ein Stück ihrer Gedanken, durchwoben mit euren eigenen Erinnerungen, Eindrücken und Wünschen.“ 

„Joaaa… nettes Plätzchen,“ murmelte ich „Gefällt mir. Ein paar Rattenhäppchen würden das Ambiente abrunden.“ Peter gähnte laut, als wolle er protestieren – doch in diesem Moment geschah etwas, das nur in Träumen möglich war: Wie aus dem Nichts erschien Sandys Feuerstelle aus dem Späherland. Darauf brutzelten mehrere Fleischhappen über dem offenen Feuer.

„Ohh, was ist das?“ fragte Susi überrascht. Ich sprang auf, die Augen glänzend. „Also das ist ja wirklich mal nett!“ Das Herz grinste amüsiert und legte den Kopf schief. Susi verschränkte die Arme, warf einen Blick zum Feuer und schüttelte den Kopf. „Ihr könnt euch was wünschen – und was kommt? Ratten.“  


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