Freitag, 10. Oktober 2025

Reise im Geiste - Teil 4

Das Katzenwesen Shi als Mensch. In ihr lebt der junge Himmelsmeister Yoh

Nun wurde die Stimmung ernster. Alle lauschten dem Wesen Yoh. Nur das Feuer flackerte ruhig zwischen den Felsen. „Und ja,“ begann das Herz mit ruhiger Stimme, „es geht um die weiße Energie.“ Das Herz Yoh lächelte kaum merklich. „Ja, die Amazonen hatten schon oft Mühe, Yoh und Shi auseinanderzuhalten – oder zu wissen, wer gerade wer ist. Aber eigentlich ist das gar nicht so wichtig. Denn am Ende werden wir eins sein.“

ich griff sich währenddessen eine Ratte vom Spieß und knusperte laut daran, als Levi sich kurz in einem flimmernden Schimmer auflöste und gleich darauf wieder auftauchte. „Alles in Ordnung?“ fragte Yoh besorgt. „Ja… also… schon,“ stotterte Levi, der sich rasch wieder hinsetzte.

„Also ja,“ fuhr das Herz fort, „ich bin Yoh. Und ich lebe von dieser Energie. Sie erlaubt mir, Dinge zu wirken – oder besser gesagt, Möglichkeiten möglich zu machen. So habe ich meiner Shi auch diese Form gegeben, in der sie bei den Menschen sicher sein kann – als Mensch.“

„Ihr wisst, sie ist eigentlich eine Katze?“ fragte Yoh leise. „Ja, das wissen wir,“ antwortete Canidio. „Sie hat es uns erzählt.“ Ich grinste nur. „Haben wir schon öfter gesehen.“ Das Herz nickte. „Nun gut. Die Energie hat Shi. Ich aber habe das Wissen – und den Schlüssel zum weißen Raum, dem Ort der Möglichkeiten. Dort, wo nur der eigene Geist die Grenze ist.“

„Der Geist ist die Grenze,“ murmelte Susi andächtig. „Ja,“ bestätigte das Herz, „daher stammen auch jene Worte. Aber keine Angst – allein sie zu sprechen, bewirkt nichts. So wurde Shi zu dem, was ich sah – zu einem Menschen.“

Ich nickte und murmelte etwas von „der Sache mit dem Zwilling“, als das Herz weitersprach:
„Das alles braucht Kraft. Energie. Ich habe einer guten Freundin geschworen, nur noch weiße Energie zu nehmen – nachdem es einmal fast schiefgegangen wäre… mit der anderen.“ Susi nickte zustimmend. „Eine gute Entscheidung.“, „Jedes Wesen hat in sich Energie,“ erklärte das Herz weiter. „Sie erneuert sich unaufhörlich. Shi hat Energie – genug, um kurz durch den weißen Raum zu gehen und für eine Weile das zu sein, was sie sieht: ein Mensch.“

Ich beobachtete Levi, der reglos wirkte, fast wie in Trance, und ihm schließlich eine Ratte unter die Nase hielt. Doch Levi reagierte nicht.

Für einen Moment lag Stille über dem Gipfel. Nur das Feuer knisterte, und der Wind strich leise über die Felsen. „Doch all das,“ sagte das Herz schließlich, „braucht Energie. Und wenn Shi ein Mensch ist, dann verbraucht sie all ihre Kraft, um es zu bleiben. Versteht ihr, was ich meine?“ Levi nickte langsam, Canidio bestätigte leise: „Ja, sehr gut sogar.“

Shi könnte so viel mehr…“ begann das Herz nachdenklich. „Durch mich – oder ich durch sie, als Mensch. Aber…“ Es stockte kurz. „Geht nicht. Kein Saft.“ Leviathan nickte verständnisvoll. „Das kann ich gut verstehen.“  Das Herz seufzte leise. „Nun ja, es gäbe schon verlockende Energie. Überall. Man müsste nur zugreifen…“ Es ließ den Blick schweifen, als könne es die unsichtbare Kraft in der Luft sehen. „Aber – ihr kennt mein Versprechen. Es hat… sagen wir… unerwünschte Nebenwirkungen, andere Energie zu nutzen. Wirklich unerfreuliche. Glaubt mir.“

Leviathan starrte ins Feuer, und man sah, wie es in seinem Kopf arbeitete – Gedanken an all das, was man nutzbar machen könnte. Canidio legte den Kopf leicht schief, sah zu Yoh und flüsterte: „Es klingt, als wäre der Preis hoch.“  Das Herz nickte ernst. „Meine Hoffnung ist… ein wenig weiße Energie zu finden. Genug, dass Shi Mensch sein kann – und doch etwas übrig bleibt. Nur ein bisschen mehr Kraft, als sie braucht, um zu bleiben, was sie ist.“


„Und wenn jemand unter der falschen Wahl der Energie leiden muss,“ sagte Susi ernst, „dann sollte man sie besser gar nicht verwenden.“ Das Herz nickte bedächtig. „Nun ja… und genau deshalb suchen meine Freunde hier nach der weißen Energie. Und ich hörte, ihr sollt da sehr schlau sein.“

Im Hintergrund hustete ich leise und winkte ab. „Naja… schlau ist ein großes Wort. Sagen wir: ein bisschen belesen.“ Levi wiegte den Kopf hin und her, als würde er abwägen, ob er das bestätigen oder bestreiten sollte. Ich schmunzelte und sah von Levi zu Canidio. „Sagen wir’s so: Jeder von uns dreien ist auf seine Weise etwas ganz Besonderes – und hat seine ganz eigenen Stärken.“ Yoh nickte leicht und sah uns mit einem geheimnisvollen Lächeln an. „Vielleicht,“ sagte sie leise, „ist das ja der Schlüssel.“

Ich hob die Hand leicht, um das Wort zu ergreifen. „Ich für meinen Teil hätte da ein paar Fragen.“
Yoh wandte sich zu mir um. „Ja?“ Susi hob beschwichtigend die Hand. „Wir müssen nicht sofort eine Lösung finden. Wir können später noch darüber nachdenken.“ Yoh nickte zustimmend. „Unser Treffen hier und heute hat vor allem den Sinn, dass ich direkt mit euch sprechen kann. Es ist nicht leicht, durch Shi zu reden.“

Canidio neigte den Kopf. „Wenn ich helfen kann, bin ich gern dazu bereit.“ „Ich ebenso,“ fügte Levi ruhig hinzu. „Gut,“ sagte ich und sah zu Yoh: „Der Begriff Weiße Energie ist mir im Laufe vieler Zeiten begegnet – doch jeder verstand etwas anderes darunter. Ich möchte das Wesen dieser Energie begreifen.“

Yoh nickte langsam. „In der Tat… vieles trägt viele Namen. Und manches, was anders ist, nennt sich gleich. Die weiße Energie, die ich meine, erkennt man daran, dass sie stets zum Empfänger fließt. Sie lässt sich nicht nehmen – sobald man sie zu greifen versucht, wird sie dunkel. Dunkle Energie ist im Kern nichts anderes als weiße Energie, die geraubt wurde.“

Einen Moment war es still. Nur das Knistern des Feuers war zu hören. „Das tat ich einst,“ fuhr das Wesen leise fort. „Ich nahm Energie, die mir nicht gehörte. Die Gier danach hätte mich fast verschlungen.“, „Zuviel Gier ist nie gut,“ murmelte Levi und sah auf das Gras zu seinen Füßen. „Aber ich wäre nicht mehr ich gewesen,“ sagte Yoh. „Ich hätte Shi, meine Heimat, mein Sein verloren.“


Dann hob Yoh eine Hand und griff in die Luft. Aus dem Nichts entstand ein Stück Pergament. Zwei unvollständige Zeichnungen zierten es. „Was seht ihr?“ fragte das Wesen. Canidio betrachtete das Bild. „Zwei Wesen, die zu einem werden.“ Yoh lächelte. „Fast. Das, was ihr zwischen den Bildern seht – das ist der weiße Raum. Der Ort, wo noch nichts ist, wo man alles erschaffen kann.“

„Ah,“ nickte Susi. „Der Platz, an dem alles möglich ist.“ „Darum ist der weiße Raum gefährlich,“ sagte Yoh ernst. „Er ist leer. Reines Potenzial – und doch unbegreiflich. Alles kann dort entstehen… oder vergehen.“, „Also das große Ganze, das noch nicht aufgedeckt ist,“ folgerte Levi.
„Oder das, was schon existiert, aber noch nicht wahr geworden ist,“ ergänzte Yoh. „Wie im Traum.“

Ein leises Schmunzeln huschte über mein Gesicht. „Dann ist es wohl der Ort der Möglichkeiten. Gefährlich, aber faszinierend.“  „Genau,“ bestätigte Yoh. „Der weiße Raum ist nur durch Energie zu erreichen. Kraft ist der Schlüssel – und darum suchen wir sie.“ Levi sah nachdenklich auf. „Dann braucht es jemand, der den Eimer Wasser nachfüllt, weil du es selbst nicht kannst.“ Yoh nickte. „Könnte man so sagen.“

„Dann,“ meinte Susi ruhig, „müsste jemand dem Herzen Energie schenken. Das wäre weiße Energie.“
Ich schmunzelte. „Vielleicht. Oder sie lässt sich verstärken – so wie der Geist durch Übung wächst. Wer rechnet, wird zum Rechengenie. Wer übt, stärkt den Geist.“ „Aber das kostet etwas,“ warf Levi ein.
„Sagen wir: Rattenhäppchen für den Geist,“ murmelte ich grinsend, während Canidio sich das Lachen verkniff.

Da sprach Anna leise: „Dieser weiße Raum braucht Blumen. Von Blumen wird man fröhlich – und wer fröhlich ist, hat Kraft.“ „Blumen für Freude,“ bestätigte Susi sanft. „Freude ist positive Energie.“
Yoh sah sie an, als wäre ihm gerade ein Licht aufgegangen. „Freude als Quelle… das wäre einen Versuch wert. Ich kenne das Gegenteil – Wünsche, Sehnsüchte, Ängste… sie alle setzen Energie frei.“
„Wie Neid, Gier und Hass,“ murmelte Levi. Ich nickte: „Dann sind die Gefühle selbst die Quelle.“ Yoh lächelte schwach. „Vielleicht. Vielleicht sind sie die Quelle… oder der Schlüssel. Auf jeden Fall ein Teil der Lösung.“

„Freunde,“ begann Yoh leise, „ich denke, wir sind heute sehr weit gekommen. Wir haben uns kennengelernt, Gedanken geteilt, und vielleicht… den ersten Schritt getan.“ Canidio lächelte zu Elyion, dann wieder zu Yoh. „Ich hoffe,“ fuhr diese fort, „euch hat die Form gefallen, in der ich euch heute erschienen bin. Ich bin mir da nie ganz sicher.“, „Wir kommen wieder zu dir,“ versprach Susi.

Elyion rieb sich nachdenklich das Kinn. „Nach meinem Gedächtnisverlust, als das Elfenland unterging, war ich gezwungen, wieder von vorn zu lernen. Damals begegnete ich einem Succubus – er nährte sich von meinen… nun ja, Gefühlen. Speichere sie in einem Kristall, der rosa leuchtete, je mehr er in sich aufnahm. Vielleicht ist das ein Ansatz.“, „Gefühle im Einmachglas,“ meinte Susi trocken. „Interessant.“
Leviathan grinste. „Nur dass das Glas die Gefühle nicht frischhält.“

„Die Form ist nicht wichtig,“ sagte Yoh, das Herz, dann ernst. „Wichtiger ist, was sie in uns bewegt.“
Yoh nickte. „Ihr habt recht. Und doch – Gefühle können ein Werkzeug sein. Wenn man sie richtig nutzt.“ Canidio sah nachdenklich ins Feuer. „Ich hatte schon mit Dämonen zu tun… ich war ihnen wohl zu brav,“ sagte sie mit einem schiefen Lächeln. Leviathan riss die Augen auf. „Nicht euer Ernst!“
„Es war kein einfacher Weg,“ murmelte Elyion. „Aber vielleicht liegt darin eine Erkenntnis.“
„Das Werkzeug war gut,“ entgegnete Yoh ruhig. „Nur der Gebrauch war falsch.“

Ein leises Grollen erklang in der Ferne. Über dem Berg zog ein Gewitter auf. Yoh hob den Blick und lächelte. „Ihr habt den Ort verstanden, wie ich sehe.“ Elyion zog mit der Hand eine Geste durch die Luft, als male er einen Regenbogen. „Ich sehe es schon vor mir: Weiße Energie – spende jetzt! Macht sich gut als Banner.“ 

„Ich denke,“ sagte Yoh schließlich, „unsere Zeit hier neigt sich dem Ende. Nicht jeder Geist ist stark genug, um hier lange zu verweilen – auch Shi spüre ich schwächer werden.“ „Es war eine gute Reise,“ sagte Susi sanft. „Mit guten Gästen.“ „Ich danke euch,“ erwiderte Yoh. „Für euer Kommen, für eure Hilfe. Und denkt daran – ich bin in ihr, sie ist in mir. Ich bin.“

Ein Windstoß ließ die Flammen aufflackern. Dann deutete Yoh auf einen Ballon, der ruhig am Rand der Klippe wartete. „Der Weg zurück ist fast derselbe wie der hierher. Nach oben – und ihr kommt wieder unten an.“ Ein letzter Blick, ein stilles Nicken – dann stiegen sie in den Ballon. Langsam hob er sich, trug sie höher und höher, hinein in die Wolken. Das Licht wurde heller, dann dunkler – und schließlich versank alles im Nebel.


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