Montag, 6. Oktober 2025

Reise im Geiste - Teil 2

Der Übergang war kaum zu spüren gewesen, nur ein sanftes Gleiten wie durch Dunkelheit. Die Welt um uns war plötzlich anders, kaum greifbar. Weichgezeichnete Konturen, gedämpfte Farben, als wäre alles mit einem hauchdünnen Schleier überzogen. Der Boden unter unseren Füßen schien zugleich fest und federnd, wie eine dichte Wolkendecke. 

Ich tappte vorsichtig voran, noch immer die Augen geschlossen. „Sind wir schon da?“ fragte ich in die Richtung der vertrauten Stimmen, die irgendwo um mich hertrieben „Ja, wir sind schon angekommen,“ antwortete Canidio beruhigend. Langsam öffnete ich die Augen – und da war sie, die Gruppe: vertraute Silhouetten in dieser unwirklichen Landschaft. 

Yoh Shi sah in Richtung Nebel: „Dort kommt der Mann mit dem silbernen Haar.“, murmelte sie mit leiser Stimme. Susi deutete mit dem Finger. „Ein dunkler Mann, dort hinten.“ Leviathan trat näher, musterte die Anwesenden mit einem nachdenklichen Blick. Frekya hüpfte als Fuchs wie in Zeitlupe heran, als würde selbst die Schwerkraft hier träumen. 

„Anna und Sandy sind noch nicht da,“ sagte Susi nach einem Moment, als sie sich aufmerksam umsah. Der Nebel begann sich weiter zu lichten. Mit jedem neuen Schritt, mit jeder weiteren Ankunft aus der Wirklichkeit, schien diese Traumwelt greifbarer zu werden.

„Ist das wieder diese Wiese?“ fragte Susi und blinzelte gegen das milchige Licht. Peter tauchte keuchend aus dem Nebel auf. „Kala zusammen,“ rief er mit einem schelmischen Grinsen, als Sandy beinahe lautlos aus einem Busch trat. „Bin ich in Amazonien oder in Carima? Wo… wo bin ich?“ Anna wirkte verwirrt, drehte sich langsam um die eigene Achse.

Kommandantin Anna in tiefer Trance

Allmählich öffnete sich der Blick – eine weite Lichtung wurde sichtbar, eingebettet in ein Tal. In der Ferne zeichnete sich das Hochgebirge der Himmelsgeister ab, ihre Spitzen verloren sich in schimmerndem Nebel. Der Wald, der uns umgab, war fremd und doch vertraut – eine seltsame Mischung aus Amazonien und Carima.

„Ich muss Yoh bewachen,“ murmelte Anna, die sich offenbar noch nicht ganz im Hier und Jetzt angekommen fühlte. „Yoh, bist du da?“ Annas Stimme wurde lauter. „Ja,“ antwortete Yoh sanft. „Ich glaube, der Traum hat sich nun gefestigt.“, „Ganz ruhig, Anna. Du bist hier in Sicherheit,“ versicherte Susi mit ruhiger Stimme. „Haar wie Sonne,“ rief Yoh – Annas Spitzname – mit einem Lächeln, das selbst durch den Nebel zu spüren war „Ah, da ist sie,“ seufzte Anna erleichtert, stürmte auf Yoh zu.

Sandy Lee, mit den Gedanken ganz woanders ...

„Sandy ist auch da,“ stellte Susi fest, als ihre Augen die Umgebung prüften. Ich sah mich um. „War ich schon mal hier? Hmmm…“ murmelte ich mehr zu mir selbst als zu den anderen. Frekya kicherte. „Ohhh, ich sehe Anna – in einer schimmernden goldenen Rüstung.“ „Ich habe mein Schwert,“ erklärte Anna entschlossen. „So wird nichts passieren.“

Yohs Stimme führte uns durch die Landschaft, die mehr und mehr ihre Gestalt offenbarte – Afras Sumpf, dicht neben Blues Hütte, lag direkt am Rand dieser Lichtung. Alles war irgendwie vertraut – und doch vollkommen neu.

„Findet uns dein Herz, Yoh?“ Susi blickte in die dämmerige Weite, als wolle sie es erspüren. „Ich glaube, wir gehen wieder denselben Weg,“ antwortete Yoh mit ruhiger Stimme. Susi verzog das Gesicht. „Aber bitte nicht wieder in das Loch fallen...“ „Hier auf der Lichtung muss irgendwo ein tiefes Loch sein,“ murmelte Yoh und trat mit langsamen Schritten umher. „Bei Pallas,“ kommentierte Susi leise und seufzte.

Alle haben den gleichen Traum ...

Ich selbst tappte nun vorsichtiger durch das Gras, als würde ich über dünnes Eis wandeln. „Loch?“ fragte ich und schaute unter mich. „Ich glaube, dem Herz gefällt dieser Weg“, erwiderte Yoh fast träumerisch. Peter versicherte hastig: „Ich hab nichts gesagt!“ und folgte stumm den anderen.

„Müssen wir da wieder hindurch?“ Susi sah zweifelnd zu Yoh. Sandy war da praktischer veranlagt. Sie legte sich kurzerhand hin und spähte mit dem Kopf voran ins vermeintliche Nichts. Yoh hielt nach dem Eingang zum verborgenen Pfad Ausschau. „Flecki, du bist doch gerade ein Fuchs – finde das Loch, los!“ „Hallo ho ho!“ rief Sandy ins Loch hinein. „Nix drin im Loch,“ rief Sandy.

Ich spürte Canidios Hand am Ärmel, die mich zurückhielt, bevor ich weiterstolperte. „Solange kein Wasser drin ist, macht es nichts…“ murmelte ich Canidio zu. Sie murmelte mir zu, kaum hörbar: „Stimmt, da hast du recht.“ 

„War das Loch nicht größer?“ Susi runzelte die Stirn. „Da passen wir doch nicht hindurch,“ wandte Susi ein. „Müssen wir da rein?“ fragte Levi mit einem Blick ins Ungewisse. Und just in dem Moment, als Susi feststellte, das Loch sei zu klein – wuchs es. Ein Ruck ging durch den Boden, und beinahe wäre sie hineingerutscht. „Ahhh!“ rief sie, konnte sich aber gerade noch am Rand festhalten.

„Seid ihr alle da?“ fragte Yoh. „Oschi denkt, wir müssen da reinspringen.“, „Ich bin da, Yoh,“ meldete sich Canidio. „Hurraaa, erster!“ rief Peter und breitete die Arme aus. „Peter!“ Yohs Stimme hallte ihm nach. Sandy tastete mit dem Arm ins Loch. „Peter ist weg!“. „Es kann nichts geschehen,“ versicherte Susi.

Ich trat vorsichtig näher. „Schreck...“, murmelte ich, dann sah ich nur noch Dunkelheit. Einer nach dem anderen sprang. Yoh. Sandy. Canidio – die mir noch rasch die Hand gedrückt hatte. Dann ich.

Frei.

Wir fielen. Und fielen.

Zuerst war da nur Dunkelheit – Erde, die an uns vorbeizog. Dann Nebel, erst grau, dann heller. Susi hielt still – diesmal versuchte sie nicht zu rudern. „Ach du Schreck, das ist heute heller,“ rief sie. „Heute sehen wir sogar, wo wir runterfallen,“ fügte sie hinzu. Canidios Flügel begannen zu schlagen, bremsten ihren Fall. Peter sah mit adlergleichen Augen das Ziel tief unten. Ich spannte meinen Umhang wie ein Flughörnchen, glitt lautlos dahin. Levi ließ sich einfach fallen, wie jemand, der das schon tausend Mal getan hatte.

Der Nebel wurde fast strahlend. Und dann…

Ein sanftes Ziehen, ein unsichtiger Griff – der Sturz wurde langsamer. Wie durch Magie wurden wir gebremst und schließlich sanft auf weichem Boden abgelegt. „Aaaaahhh... sind wir gelandet?“ fragte Susi atemlos. Canidio lächelte Anna zu, ihre Füße berührten bereits den Boden.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Reise im Geiste - Teil 2

Der Übergang war kaum zu spüren gewesen, nur ein sanftes Gleiten wie durch Dunkelheit. Die Welt um uns war plötzlich anders, kaum greifbar. ...