Sonntag, 5. Oktober 2025

Reise im Geiste - Teil 1

Es war ein später Abend, kurz bevor die Sonne hinter den Bergen versank und den Himmel in tiefes Rot tauchte. Die salzige Brise des Meeres mischte sich mit dem rauchigen Duft des Feuers, das bereits knisternd aufloderte. 

Hier, hinter dem Elbengebirge versammelten sich Menschen aus nah und fern – Amazonen ebenso wie Bewohner aus Carima. Sie waren gekommen, um an einem ungewöhnlichen Ritual teilzunehmen: einer Traumreise.  Während ich die letzten Vorbereitungen traf, bewegte sich eine Gestalt aus den langen Schatten der Bäume auf mich zu. Es war Anna, die Kommandantin, ihr Blick aufmerksam und prüfend. „Grüße, Sir Elyion! Ich hatte so viel Rauch gesehen, da musste ich nachsehen, was los ist.“

Ich hob überrascht den Kopf und grinste. „Nanu...? Guten Abend. Ich bereite das Feuer vor. Die Amazonen und einige aus der Stadt werden hier zusammenkommen. Wir führen ein Ritual durch.“ Anna musterte den aufsteigenden Rauch kritisch. „Ach so. Ich dachte, alles steht in Flammen. Vom Wald aus sah es beunruhigend aus.“ Ich machte eine ausladende Geste Richtung Elbengebirge. „Aber der Rauch schafft es nicht einmal über die Berge...“

„Ich war auf Inspektion in Magic!“ erklärte sie mit entschlossener Stimme. Ich schmunzelte. „Gebt es zu... Ihr habt gespürt, dass hier etwas passieren wird.“ Die Kommandantin richtete sich stolz auf. „Darum bin ich auch die Kommandantin! Ich muss überall Augen haben! So muss man alles gut beobachten.“ Sie hob das Kinn mit einem selbstbewussten Lächeln, und ich nickte nur verstehend.

Noch war es ruhig, die Gäste waren noch nicht eingetroffen. Doch Anna, die Kommandantin, machte sich so ihre eigenen Gedanken zu unserem Vorhaben – und diese wollte sie nicht unausgesprochen lassen.

„Ich habe gehört, dass so etwas nicht einfach ist mit dem Zauber, Sir Elyion. Es gibt nicht viele, die das wirklich beherrschen.“ Ich nickte bedächtig. „Das hängt ganz davon ab, wie man es angeht.“ Anna musterte mich prüfend. „Aber habt Ihr mal daran gedacht, Lady Laisa zu fragen? Ihr kann man vertrauen.“ Ich zog die Brauen hoch. „Nein, sie ist mehr mit dem Finsteren verbunden.“, „Ja, ich weiß. Aber sie kann helfen, wenn es darauf ankommt. Natürlich weiß ich,  dass Lady Canidio und Sir Levi auch helfen können.“

Ich schmunzelte leicht. „Wir werden sehen, ob wir mehr Hilfe brauchen. Aber Canidio ist eine mächtige Zauberin. Sie kann sogar Dämonen aufhalten.“ Anna seufzte leise und sah für einen Moment über das Feuer hinweg. „Ja, aber wenn das nicht reicht, dann denkt bitte daran…“ Sie trat näher und senkte die Stimme: „Lady Laisa hat sogar Frekya das dunkle Schloss gezeigt.“

Als Magier verstand ich ihre Vorsicht. Die Kommandantin kannte genauso die Gefahren, die in Carima lauerten, nur zu gut. Doch für diese Reise brauchten wir keine Kämpfer – sondern Antworten. Und die würden wir auf diesem Pfad zu den Geistern selbst finden.


Allmählich mischten sich leise Stimmen unter das Knistern des Feuers, und im Halbdunkel zeichneten sich die ersten Gestalten der eintreffenden Gäste ab.

Peter schloss für einen Moment die Augen und genoss die salzige Brise vom Meer. „Das ist ein guter Platz, um zu den Geistern zu reisen“, meinte Susi zufrieden. „Ein guter Ort“, bestätigte Yoh leise. „Das ist bestimmt gut zum Konzentrieren“, fügte Peter hinzu. „Wir hoffen es... hier stört uns selten jemand“, sagte Canidio mit einem Lächeln.

Levi saß noch immer abseits und starrte gedankenverloren auf das dunkle Meer hinaus, als würde es ihn rufen. „Frekya fehlt noch... die trödelt mal wieder“, seufzte Susi. „Aber ihr könnt schon mal eure Plätze einnehmen.“ „Tja, wo bleibt denn Flecki?“ scherzte Yoh.

 

Peter ließ sich auf einem der Kissen nieder. „Bin mal gespannt, was auf dieser Geisterreise passiert – bei so vielen neuen Gesichtern.“ Yoh tat es ihm gleich und nickte Anna lächelnd zu. Susi und Canidio forderten schließlich auch Levi auf, sich zu ihnen zu setzen. Levi blinzelte, schüttelte den Kopf wie aus einem Tagtraum erwacht und kam eilig herüber. 

Das Feuer glühte kräftig und warf einen warmen Schein auf die Gesichter des Anwesenden. Susi erhob sich und sagte: „Ich entzünde nun das Feuer, was uns hilft, die Geister zu sehen und zu erleben.“ Ich beobachtete Susi skeptisch. „Hoffentlich wirft sie da kein merkwürdiges Kraut ins Feuer.“, dachte ich und spürte, wie sich meine Schultern unwillkürlich anspannten.

„Wir werden dann in unserer Konzentration langsam in eine fremde Welt gebracht“, erklärte Susi weiter. Yoh atmete tief und gleichmäßig, so wie sie es einst bei Atrista gelernt hatte. Ihre Haltung wurde ruhig, ihr Puls fast unnatürlich gleichmäßig. „Ja, Yoh zeigt uns schon, wie wir es am besten machen“, sagte Susi mit einem Anflug von Anerkennung. „Augen zu und langsam tief ein- und ausatmen...“

Ein leises Schnarchen erklang – Frekya war angekommen und offenbar direkt eingeschlafen. Yoh ließ sich davon nicht stören. Ihre Atmung wurde noch ruhiger, fast schon meditativ. Sir Levi warf noch einen letzten Blick aufs Meer, dann folgte er den Anweisungen und schloss die Augen.

„Sind wir dort angekommen...“, sagte Susi fast flüsternd, „... werden wir von den Wesen dort geleitet. Ihr werdet das Herz von Yohshi treffen, so hoffen wir. So können wir das Herz fragen, was es mit dieser Weißen Energie auf sich hat, nach der wir suchen sollen. Atmet nun tief ein und aus und lasst euch in die andere Welt führen.“

Die Stimmen verebbten. Es wurde still. Nur das leise Rauschen der Wellen und das zarte Knistern der Glut begleiteten uns noch. Susi atmete ruhig, die Augen geschlossen. Yoh Shi, ganz in der Nähe, nickte vage zu ihren Worten, obwohl sie bereits wie aus weiter Ferne klangen. Canidio saß reglos da, lauschte und schien mit jedem Atemzug weiter fortgetragen zu werden. Auch Peter summte leise vor sich hin, im Einklang mit der Natur, die ihn umgab.

Ich selbst zog die Beine näher an den Körper, legte die Hände auf die Stiefel und beobachtete die Halme vor mir, bis sie sich in ein verwaschenes Grün auflösten – wie ein flüchtiger Schleier zwischen Wachsein und Traum. Levi starrte die kleine Schale mit dem Rauch an, seine Pupillen verengten sich zu feinen Schlitzen, als wäre etwas in seinem Inneren erwacht. Und dann – als wäre es ein Zeichen – trat Yoh Shi vollends hinüber. Der letzte Laut verklang, der letzte Gedanke löste sich. Der Weg war geöffnet.


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